Mit Sicherheit in München - eine Sonderermittlung

ein Projekt von Pia Lanzinger für die Ausstellung "Exchange & transform (Arbeitstitel)" im Kunstverein München
vom 26. April bis 1. September 2002

(text über die Ausstellungsbeitrag von Katharina Schlieben)

Begleiten Sie Pia Lanzinger bei ihren sicherheitsspezifischen Beobachtungen durch die Innenstadt
Dauer ca. drei bis vier Stunden | jeweils mittwochs
Treffpunkt: Kunstverein, 13.30 Uhr
15. Mai | 22. Mai | 5. Juni | 26. Juni | 10. Juli | 24. Juli 02
Rechtzeitige Reservierung (max. 20 TeilnehmerInnen) und Vorauszahlung von 5 Euro notwendig.
Bitte kontaktieren Sie den Kunstverein:
Kunstverein München, Galeriestraße 4, 80539 München, Tel. 089/221152, Fax. 089/229352, info@kunstverein-muenchen.de
Der zu den Sonderermittlungen erschienene Stadtplan ist über den Kunstverein zu beziehen.

Ein deutlich hervortretendes Phänomen der Deregulierung ist das verschärfte Bewußtsein für Sicherheit - angefangen bei durch Zäune abgetrennten Stadtvierteln bis hin zur allgegenwärtigen Beobachtung des öffentlichen Raums durch Überwachungskameras. Die Angst vor anderen und vor Verbrechen spielt eine immer größer werdende Rolle in den Medien, während Politiker vom 'Recht auf Sicherheit' sprechen. Innerhalb dieser Diskussion präsentiert sich die Stadt München gern als sicherste Stadt Deutschlands mit dem sichersten U-Bahn-System der Welt. Nicht ohne Stolz luden Anfang des Jahres die Politiker vor Ort zu einer Sicherheitskonferenz. Wie sich solche Phänomene auf das Selbstverständnis und die Konstruktion von Identitäten auswirken, ist die Kernfrage der Arbeit von Pia Lanzinger, häufig im Hinblick auf Frauen. Über einige Jahre hinweg hat sie Kollaborationen mit Menschen außerhalb der Kunstwelt initiiert; sie ermuntert, Formen des Austauschs mit anderen Menschen und Phänomenen zu entdecken, denen sie normalerweise nicht begegnet wären. Workshops und Führungen sind die Formate, die auf sinnfällige Weise viele dieser Anliegen kombinieren.

Für die Ausstellung "Exchange & transform (Arbeitstitel)" organisiert sie eine Führung zum Thema Sicherheit, zu Fuß und mit der U-Bahn, die am Kunstverein beginnt und an einer Reihe von Orten und Institutionen im Stadtzentrum vorbeiführt. Während der Führung werden Menschen aus den verschiedensten Sicherheitsberufen über ihre Aufgaben, Erfahrungen und Ansichten zum Thema sprechen. In der Ausstellung stellt Pia Lanzinger eine Pinnwand für ihr Projekt auf: eine Karte von München, auf der Orte, die mit Sicherheit zu tun haben, angezeigt sind. Ergänzt wird sie durch Material von diesen Orten. Zu dem Projekt ist ein speziell angefertigter Stadtplan in gedruckter Form erschienen. Maria Lind

Mit Sicherheit in München - eine Sonderermittlung

München gilt als die sicherste Millionenstadt Europas. Hauptgründe für die vergleichsweise geringe Kriminalitätsrate sind neben dem relativen Wohlstand der Stadt die starke Präsenz von Polizei und Sicherheitsdiensten. Alles, was in der "Weltstadt mit Herz" das heitere und friedliche Bild stören könnte, wird entsorgt. Obdachlose oder DrogenkonsumentInnen werden von öffentlichen Plätzen ebenso vertrieben wie MigrantInnen. Diejenigen, die es sich leisten können, engagieren private Sicherheitsdienste, wodurch die Gefahr entsteht, dass sich ein Zweiklassen-System an Sicherheit institutionalisiert. Ein bekanntes Beispiel sind die berüchtigten Schwarzen Sheriffs, die die ersten mietbaren Sicherheitsleute in der Bundesrepublik waren und wegen tätlicher Übergriffe in Verruf geraten sind.

Nicht erst seit dem 11. September ist das Thema Sicherheit in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit von Politik und Medien gerückt. Obwohl es zwischen persönlichen Ängsten und der tatsächlichen Bedrohung keinen direkten Zusammenhang gibt, werden zunehmend härtere Kontrollmaßnahmen und Strafverschärfungen durchgesetzt. In einem Klima, in dem die wirtschaftlichen und sozialen Veränderungen der Globalisierung mit ihren Deregulierungs- und Flexibilisierungstendenzen die Menschen verunsichern, kann mit dem populären Schlagwort "Innere Sicherheit" zudem erfolgreich Wahlkampf betrieben werden. Und mit dem Bedürfnis nach mehr Sicherheit steigt auch die Akzeptanz für mehr Kontrolle und Überwachung. Das Umfeld des Münchner Kunstvereins mit Regierungsgebäuden, Wirtschaftsunternehmen, dem amerikanischen Generalkonsulat und exklusiven Geschäften ist eines der bestgesichertsten der Republik. Geschützt vor Gefahren oder Belästigungen können hier Konsum und Kultur genossen bzw. die Zukunft verwaltet werden.

In der Rüstungsmetropole München findet seit 1962 die NATO-Sicherheitskonferenz statt, auf der alljährlich hochrangige Militärs, Vertreter der Waffenindustrie und Politiker konferieren. Anfang 2002 wurde dafür die Münchner Innenstadt in einen Hochsicherheitstrakt verwandelt und kurzerhand ein umfassendes Demonstrationsverbot verhängt. In der bayerischen Hauptstadt herrschen eben die Ruhe und Sicherheit eines "Millionendorfs". Und für den Fall der Fälle gibt es immer eine Versicherung - denn schließlich ist München Deutschlands Versicherungsstandort Nr. 1. Pia Lanzinger

 

 

 

 

 

Text über die Ausstellungsbeitrag von Katharina Schlieben:

 

"Mit Sicherheit in München ­ eine Sonderermittlung"
Unter diesem Titel unternahm Pia Lanzinger im Rahmen der Ausstellung "Exchange & transform (Arbeitstitel)" den Versuch, das Thema Sicherheit mit seinen Auswirkungen und Folgen kritisch zu beobachten. Ihr Projekt lässt sich in drei Teile gliedern, die unterschiedliche mediale Strategien verfolgen, aber aufeinander Bezug nehmen: eine Installation im Kunstverein, einen faltbaren Stadtplan und Führungen durch die Münchner Innenstadt. Die Installation bestand aus einer Wandmalerei, die Ausschnitte der Münchner Innenstadt fokussiert: Areale, Orte und Institutionen, an denen sich bestimmte Arten von Sicherheitsvorkehrungen verdichten. Die Lagenpläne dienten Pia Lanzinger während der viermonatigen Ausstellung als eine Art Pinnwand, an der sie im Zusammenhang mit ihren Recherchen entstandene oder gesammelte Fotos, Objekte und Zeitungsausschnitte arrangierte. Der Stadtplan ­ visuell an eine Röntgenaufnahme angelehnt ­ zeigt die ausgewählten Brennpunkte im urbanen Kontext und weist zusätzlich auf die Präsenz von Überwachungskameras und Webcams hin. Den Kern der Arbeit bildeten als Führung angelegte Erkundungen, die mit Gruppen von durchschnittlich fünfzehn Personen dem Begriff Sonderermittlung neben der performativen eine partizipatorische Bedeutung gaben.

Mittwochs um 13.30 Uhr wurde der Kunstverein sechsmal zur Ausgangsstation und zum Treffpunkt für Sicherheitsinteressierte und die Künstlerin zum Tourguide. Als künstlerisches Format verlangt die Stadtführung von Pia Lanzinger Kommunikations- und Moderationsfähigkeit. Während der Recherchen zur Auswahl der verschiedenen Stationen waren auch Spürsinn, detektivisches Geschick und Taktgefühl entscheidend. Gerade ein so heikles Thema provoziert den Verdacht, dass aus Sicherheitsgründen nicht alle Informationen bekannt gegeben werden. Pia Lanzinger entlockte ihren Gesprächspartnern spannende Fakten, Meinungen und Geschichten über die Sicherheitsvorkehrungen der jeweiligen besuchten Institutionen sowie deren Sicherheitsideologien. Sie öffnete Türen, zum Beispiel zum Hochsicherheitstrakt der Bayerischen Landesbank oder zum Erkennungsdienst der Polizei, die normalerweise verschlossen bleiben. Während der Guided Tours ist Pia Lanzinger als Moderatorin gefragt, die zwischen den Fragen der Gäste und den Antworten der Gesprächspartner sensibel vermittelt und trotzdem die brennensten Fragen der Teilnehmer beantwortet haben möchte. Es geht ihr dabei weniger um das Vermitteln von Wissen als darum, in den Sonderermittlungen eine offene Gesprächssituation zu schaffen.

Jede der Stationen, die besucht wurden, hat ihre eigenen Sicherheitsvorkehrungen ­ ob sichtbar oder unsichtbar ­ und ihre individuelle Sicherheitsmoral: Die Staatskanzlei, der Kunstverein, das Amerikanische Generalkonsulat, die Bayrische Landesbank, die Polizei, eine Selbstverteidigungsschule etc.
Wo fängt Sicherheit an, und wo hört sie auf? Gibt es ein natürliches Sicherheitsbedürfnis, und wo pervertiert dieses? Wann beginnen Sicherheitsvorkehrungen bedrohlich statt beruhigend zu werden? Man denke hier beispielsweise an die Übergriffe der Schwarzen Sheriffs in der Münchner U-Bahn. Diese Arten von Unstimmigkeiten trieben Pia Lanzingers Sonderermittlungen an und provozierten Fragen und Diskussionen.

Ein überraschendes Moment der Führung war, dass die Polizei ­ auf ein gutes öffentliches Image bedacht ­ die Gruppe bereitwillig durch die Verkehrszentrale und den Erkennungsdienst führte, wo auf über fünfzig Monitoren Tunnels und Plätze überwacht bzw. persönliche Daten, Porträtfotos und Fingerabdrücke aufgenommen werden. Eine private Schule für Selbstverteidigung blieb dagegen der Gruppe gegenüber eher misstrauisch und unterwarf ihre eigenen Aussagen, Gesten und Vorführungen einer strengen Zensur. Während bei der Polizei Fragen zu deren Vorgehen in heiklen Situationen diskutiert werden konnten, war die Begegnung mit dem Kampfsportmeister von ganz anderer Art. Begrüßt wurde die Gruppe mit der Ermahnung, permanent auf Gefahren gefasst zu sein und jeden Unbekannten als potentiellen Gegner zu sehen. Es wird einem Angst und Bang, wenn man überlegt, welche Wirkung solche privaten Kampfsportschulen womöglich haben und wie viele Opfer derartiger sicherheitsparanoider Unterweisung bereits durch unsere Straßen laufen. Katharina Schlieben