Ein Video von Oliver Ressler
in Kooperation mit Dario Azzellini
Video, 54 Min., 2002
Das Video "Disobbedienti" thematisiert die Entstehungsgeschichte,
die politischen Grundlagen und die Aktionsformen der Bewegung
der Disobbedienti (die Ungehorsamen) anhand von Gesprächen
mit sieben Beteiligten.
Die Disobbedienti gingen während der Demonstrationen gegen
den G8-Gipfel im Juli 2001 in Genua aus den Tute Bianche hervor.
"Tute Bianche" war die Bezeichnung für jene weiß
gekleideten AktivistInnen aus Italien, die ihre durch Schaumstoff,
Reifen, Helme, Gasmasken und selbst gemachte Schilde geschützten
Körper bei direkten Aktionen und Demonstrationen als Waffe
des zivilen Ungehorsams einsetzten. 1994 traten die Tute Bianche
erstmals in Italien in einem gesellschaftlichen Umfeld in Erscheinung,
in dem der in den 70er Jahren in der Produktion und in Arbeitskämpfen
eine zentrale Rolle spielende "Massenarbeiter" schrittweise
durch prekäre postfordistische Beschäftigungsformen
abgelöst worden war. Die Tute Bianche beteiligten sich an
Protesten gegen prekarisierte Arbeitsbedingungen und am Kampf
der MigrantInnen für Bewegungsfreiheit, indem sie mit der
speziell entwickelten Aktionsform der Demontage die Schließung
von Abschiebelagern erzwangen. Die Tute Bianche waren Teil der
Demonstrationen gegen die WTO in Seattle 1999 und den IWF in Prag
2000, entsandten Delegationen in den Lakandonischen Regenwald
in Chiapas und begleiteten die zapatistischen Comandantes 3000
Kilometer weit nach Mexiko-Stadt.
Beim G8-Gipfel in Genua beschlossen die Tute Bianche, die identitätsstiftenden
und namensgebenden weißen Overalls abzulegen, um in der
Multitude der 300.000 DemoteilnehmerInnen aufzugehen. Der Übergang
von den Tute Bianche zu den Disobbedienti, den Ungehorsamen, ist
auch eine Entwicklung vom "zivilen Ungehorsam" zum "sozialen
Ungehorsam". Durch das repressive Vorgehen und die Massaker
der Polizeikräfte in Genua wurde die Praxis des sozialen
Ungehorsams von der Straße in die verschiedensten gesellschaftlichen
Bereiche hineingetragen. Der Disobbedienti-Sprecher Luca Casarini
beschreibt daher im Video die Tute Bianche als subjektive Erfahrung
und kleine Armee, die Disobbedienti hingegen als Multitude und
Bewegung.
Die Disobbedienti setzen die Politikform der Tute Bianche fort
und versuchen, eine gerechtere Legalität von unten zu schaffen.
Es werden weiterhin spektakuläre Aktionen gegen Abschiebelager
durchgeführt, wie die im Video gezeigte Demontage des Abschiebelagers
in der Via Mattei in Bologna am 25. Januar 2002. Dazu kommen Versuche,
den "sozialen Ungehorsam" als kollektive Praxis unterschiedlicher
Gruppen weiterzuentwickeln, Waren- und Kommunikationsflüsse
zu blockieren, Streiks einzelner Gruppen zu generalisieren, Generalstreiks
zu planen und durchzuführen.
Die Gespräche mit den Disobbedienti wurden im Juli 2002 in Bologna und Genua auf Italienisch geführt. Das Video "Disobbedienti" gibt es mit deutscher und englischer Untertitelung.
Konzept, Interviewvorbereitung, Schnitt, Realisation: Oliver
Ressler
Interviews, konzeptionelle Mitarbeit, Übersetzung: Dario
Azzellini
Kamera: Claudio Ruggieri
Ton: Rainer Antesberger
GesprächspartnerInnen: Luca Casarini, Ulia Conti, Gianmarco
de Pieri, Enrico Ludovici, Federico Martelloni, Francesco Raparelli,
Francesca Ruocco