reconstruction_deconstruction

Vorführung in der Z-bar Kino am 23. Mai, 21 Uhr

filme von stefan schuster und den brüdern skladanowsky
sound von silb
zusammen mit einem vortrag von christa blümlinger

 

Taz 23. Mai 2002 

pressefoto

     

rec die verwendung von found footage material im bereich von kunst- und experimentalfilm ist eine häufig angewandte arbeitsmethode. dabei wird bereits existierendes filmmaterial bearbeitet und einer neuen inhaltlichen und/oder formalen bedeutung zugeführt. unabdingbar für diese arbeitsweise ist das vorhandensein und die zugriffsmöglichkeit auf das ausgangsmaterial. bei der verwendung von filmen, deren entstehung sehr lange zurückliegt, ist der zugriff auf das ursprungsmaterial oft schwierig. in manchen fällen besteht nur noch ein exemplar des films, oder manchmal bestehen sogar nur noch einzelne kader. anhand dieser einzelaufnahmen kann zwar festgestellt werden, dass ein film existierte, der film selbst besteht jedoch nicht mehr. berlin:schönhauser geht von dieser situation aus und bezieht sich auf material der berliner filmpioniere max und emil skladanowsky aus dem jahr 1896, welches nur noch in form von einzelbildern vorhanden ist. ähnlich wie bei found footage arbeiten dienen diese aufnahmen als ausgangpunkt einer filmischen arbeit, die sich, und das ist der unterschied zum herkömmlichen footage film, rein ideell auf filmmaterial bezieht, ohne das material direkt ­ weil es nicht mehr existiert ­ zu verwenden.

aufnahmen von schienen, von zügen oder aus fahrenden zügen heraus sind häufig wiederkehrende motive gerade des frühen films. als archetypisch für die filmgeschichte sind die aufnahmen der brüder lumière vom einfahrenden zug (arrivée d'un train à la ciotat, 1895) anzusehen. kurze zeit danach drehen die brüder skladanowsky in berlin eine fast identische szene (einfahrt eines eisenbahnzuges, 1896). gewissermaßen ganz am anfang also der filmgeschichte kommt es zum ästhetischen zusammenschluß von bahn und film, wie auch weitere arbeiten von skladanowsky belegen (z.b. eine hochbahnfahrt durch berlin, 1896). möglicherweise steckt darin schon die ahnung einer identität, wie sie der damals sehr neuen form von technik (filmprojektor, filmkamera) und dem paradebeispiel technischer revolution der dampfmaschine (lokomotive) zugrunde liegt. jedenfalls bedienen sich beide techniken einer methode, die am betrachter/passagier ein bild ­ im fahrenden zug die landschaft, im film die filmkader ­ vorbeiziehen läßt.

dec bei der ersten vorführung des lumière films vom einfahrenden zug sollen die besucher vor entsetzen den vorführraum verlassen haben. ähnliches könnte sich bei der präsentation des skladanowsky materials ereignet haben. jedenfalls erzeugte das bewegte bild für die betrachter von damals den effekt eines wahrnehmungsschocks. wenn gleich offen steht, ob die zuschauer vor einer vermeintlichen wirklichkeit oder vor der bis dahin nie dagewesenen attraktion einer bewegungsillusion zurückgeschreckt waren, fest steht, mit dem bild vom einfahrenden zug ist eine völlig neue darstellungsqualität aufgetreten, ins 20. Jahrhundert "eingefahren".