Das große Fressen

 

Auf dem Green steht ein adrett frisierter, ockerfarbener Pudel und hält die Nase im Wind, scheinbar erwartungsvoll auf den Golfball wartend. Doch die Idylle trügt. Über der gepflegten Erscheinung thront die Aufforderung "Eat the rich", die den Green zum Boxring werden lässt. Klassenkampf mit Köter: Das Schoßhündchen in dieser Zeichnung von Damien Deroubaix ist wahlweise Zielscheibe oder bolschewistischer Pitbull.

So in etwa sollte man im Übrigen Deroubaixs gesamtes Werk angehen: nicht unbedingt mit feinsinnigem Gespür sondern mit brachialer Geradlinigkeit. Der Künstler selbst hält es schließlich mit dieser Sichtweise und folgt damit dem Credo, dass die beste Karikatur mit wenigen Effekten auskommt. Dies, obwohl er es genau so gut versteht, komplexe Figuren zu skizzieren, wie etwa jenen reglosen Wachhund, eine bemalte Skulptur einer allzu artigen Bulldogge. Letztlich mutet Deroubaixs Mutanten-Tierreich wie ein Zoo des Grauens an.

Aber auch die Menschen bleiben von der hier angewandten Technik der wiederholten Umkehrung nicht verschont, die ferner das Grundvokabular des Künstlers bildet: Pin-ups in viel zu engen Strings und schlecht sitzenden Miedern verkaufen ihre pfirsichfarbenen Körper an betrübte Soldaten, die schon längst nicht mehr nach warmem Sand riechen, Skelette tanzen vor kopflosen Dinosauriern, zu denen sich abgestürzte Adler oder gesichtslose Haie gesellen. Dieses ganze Volk verträgt sich wie Katz und Maus; dem eigentlichen Wesen entfremdet und einander doch spinnefeind. Dies alles bildet den pittoresken Hintergrund zu Deroubaixs zugegebenermaßen überdrehten Kunst, wobei man seine grafischen Sketche nicht auf die leichte Schulter nehmen sollte: dazu sind die Schattenseiten zu düster, zu makaber, erzählen sie doch von einer Welt, wo man allerorts die Schmauchspuren von Konflikten vernimmt.

Es ist demnach kein Zufall, dass die Grundstimmung dieser Zeichnungen von räudigen Farbtönen geprägt wird, Flecken so ölig wie das Fett auf dem Tischtuch in der Kantine. Aquarell der Gosse. Die zahlreichen Umänderungen sind gut sichtbar, die Umrisse hingegen konturlos und zerrüttet. Normal, so scheint es, obwohl selbst die im Zentrum stehenden Figuren keine Haltung besitzen; vielmehr sind es fleckige Schattenbilder, verwischt, steif, schnell hingezeichnet. Kurzum, die Weltbühne ist ein schmieriges Parkett, auf dem alles aus der Bahn läuft, allem voran die Identitäten und Genres. Die nicht sehr aufreizenden Pin-ups glänzen im fahlen Schein einer Funzel die an einem knochendürren Kabel von der Decke baumelt. Was ist bloß aus ihnen geworden, seit sie nicht mehr zur Aufgeilung der Massen taugen? Auch diese Frage wird prompt beantwortet: Gleich in mehreren Zeichnungen müssen die einstigen Miezen als Fahnenträger für den Star spangled banner (ohne Sterne und seitenverkehrt) herhalten, bestenfalls noch als Miniatur-Wichsvorlagen für schwermütige Marines. Verlotterte Ikonen ohne Schrein, umher irrende Ölgötzen. Und doch sind ihre Existenzen nicht sinnloser als die ihrer Vorbilder in der Wirklichkeit, jener Figuren, die der Zeichner grobschlächtig aus den zahllosen Allerwelts-Publikationen kopiert. Genau genommen sind Deroubaixs Pin-up-Karikaturen nahezu tragikomisch, wenn sie sich im Schatten unheilvoller Schlagwörter wie "Death" oder "Profit" räkeln, wobei der Künstler diese beiden Wörter sicherlich als Synonyme begreift; Deroubaix weiß schließlich, dass die Bereicherung Einiger auf Kosten aller anderen geht.

Es ist demzufolge völlig unmöglich, den sehr bestimmten politischen Hintergrund dieser Arbeiten auszublenden. Hartnäckig, frontal, radikal: Die Formsprache Deroubaixs wurzelt in der Anarcho-Punk-Szene und ihrem Gedankengut. Sie greift im Grunde die Hasstiraden des Grind auf, einer extrem politisierten und ultralinken Version des Metal Rock. So gibt es auch eine Übereinstimmung, was die Zielscheiben anbelangt: Deroubaixs Aquarelle thematisieren soziale Ungerechtigkeit und Überproduktion, Kriegslogik und den Zynismus der Weltkonzerne, Konsumwut und Entfremdung durch Werbung. Eine bissige Kritik in Form einer Ästhetik, die so cheap daherkommt, wie ein Riff einer Grindcore-Gitarre. Dieser ganze Radau läuft wissentlich Gefahr, zur Karikatur zu verkommen, aber dies entspricht der dezidierten Haltung eines Künstlers, dem das Halbherzige nicht liegt. Es ist das Merkmal einer geradezu gefräßigen Ehrlichkeit, die keine Abkürzung scheut und ihre Mittel gezielt einsetzt, statt Dekoratives, Anekdotisches oder Hübsches zu produzieren. Dennoch kann von Effekthascherei nicht die Rede sein; vielmehr kommen Deroubaixs Arbeiten auf Papier erst zum Kern der Sache, indem sie grafische Kurzformeln und knallige Collagen in Szene setzen.

Die Anbringung der Arbeiten scheint hingegen eher zögerlich. Doch bei genauem Hinsehen fällt auf, dass Deroubaix seine Aussagen präzise gestaltet. Die aufgetürmten Ölfässer, die scheinbar wahllos verstreuten Plakate und Poster, oder auch die herumstehenden Kohlesäcke in Deroubaixs Installationen erinnern an Brachen oder Discountläden. Ihre räumliche Verteilung ist das Resultat einer vorgetäuschten Nachlässigkeit, die seinen Ausstellungen eine postindustrielle oder Garage-Ästhetik verleiht, wie man sie von ausgedienten Fabriken oder zerfallenden Arbeitervierteln her kennt. So zumindest sah es in Strassburg aus. Nicht jedoch im VKS-Ausstellungsraum in Toulouse, wo die Zeichnungen eher unterkühlt minimalistisch verteilt, und die Wände mit Aluminium beschichtet waren. Dort machten die Arbeiten reinen Tisch: Ein Ausflug in die blühenden Wirtschaftslandschaften der so genannten Dritten Welt mit ihren High-Tech-Produktionsstandorten. Die auf Metallfässern aufgepflanzten Parabolantennen, die in mehreren Skulpturen auftauchen, referieren eine bekannte Arbeit von Hans Haacke. Vor allem aber wird dieses Zweigestirn ein paradoxes Objekt, in dem die Öltonne, Symbol der Schwerindustrie, und die Satellitenschüssel, Zeichen der Informationsgesellschaft, miteinander verschmelzen. Letztere, die wir gemeinhin als "sauber" empfinden, wird von der Tonne und ihrer pechschwarzen Öko- und Sozialbilanz förmlich "infiziert". Ähnliches geschieht auch in einer Zeichnung, in der ein Panzer auf bizarre Weise zur Kamera mutiert, sprich: Kriegsartillerie und Informationsgesellschaft sich ineinander verschränken. Vielleicht ein Beitrag zur Debatte über die "eingebetteten" Reporter im zweiten Irak-Krieg?

Wie dem auch sei, die Verpflanzung klappt. Damien Deroubaixs bevorzugte Methode besteht demnach darin, Zeichen aneinander und übereinander zu fügen, um sie besser pervertieren zu können. Er setzt auf die Umkehrung der Zeichen und dessen, was sie bezeichnen, und legt somit ihre Verbreitungskanäle offen. Der Rückgriff auf die Parabolantenne ist folglich kein Zufall, genauso wenig wie das Benutzen von materiellen Werbeträgern. Von der Plane, die an einer Häuserfassade prangert, über Holz- oder Aluminiumtafeln bis hin zum Demoschild, arbeitet Deroubaix systematisch mit und an den Informationsträgern. Er geht dabei so weit, dass all diese Schilder ihrerseits auch wiederum karikiert werden, indem er sie zu wuchernden organischen Formen mit zahllosen Extremitäten wachsen lässt: Ein Bild für die langen Fangarme der Werbung und ihre pathetischen Versuche, jeglichen verbleibenden Freiraum zu erobern. Ein wiederkehrendes Motiv fasst dieses ausufernde Gebaren ironisch zusammen: Ein Stern, auf dem ein Sonderangebotspreis prangert; das ethische Preisschild, Nullpunkt der Werbung, geschmückt mit der Effigie von Karl Marx. Was sind die Dividenden des Kapitals für die heutige Arbeiterklasse? Liegt die Antwort im Ausverkauf?

Die Zeichen sind bekanntlich dem Verfall preisgegeben, doch noch vor Ablauf ihres Gültigkeitsdatums karrt der Künstler sie zum Industrieschrottplatz, oder begräbt sie auf dem Elefantenfriedhof, wie man aus den zahlreichen Skeletten schließen möchte, die in den Arbeiten herumgeistern. Dabei handelt es sich letztlich um sehr entspannte Skelette, ähnlich jenen, die durch die B-Serie "Jason und die Argonauten" watscheln. Karneval-Skelette also, denn die Arbeit erinnert letztlich mehr an einen lustigen Hexenkessel als an einen revolutionären Aufmarsch. Skelette (von Dinosauriern oder Hunden) schließlich, weil die Arbeiten ­ halb ernst, halb lächerlich ­ versuchen, die Welt sprichwörtlich zu durchleuchten. Es ist keine medizinisch verordnete Radiografie, ja nicht einmal politische Radioskopie, die hier zu Werke ist, sondern Science-fiction, cheap, abgefahren und dennoch bestrebt, die kulturell und ideologisch geladenen Zeichen auf Herz und Nieren zu untersuchen.

 

Judicaël Lavrador