Von der Ausstellung
Lise Nellemann ist eingeladen
worden, um Sparwasser HQ in einen weiter gefassten Kontext der
Berlin Nordausstellung zu holen. Diese Initiative überträgt
sichtbar ein viel besprochenes Format innerhalb der zeitgenössischen
Kunst: die Einbeziehung von Künstlern in die Organisation,
die Verbreitung und Kommunikation von künstlerischen Ideen
und Modellen der Selbst-Darstellung. Die Künstler widerspiegeln
ihre eigene Situation sowohl als Gast als auch als Gastgeber,
die Teil einer künstlerischen Produktion wird.
Auf den Begriff der "open
source" aufbauend, Ideen und Wissen teilend, um so ein gemeinsames
Verständnis zu entwickeln, von dem jeder profitieren kann,
hat Sparwasser weitere Künstler und Personen, die im Kunstbereich
tätig sind sowie künstlerische Projekte eingeladen um
am konzeptionellen Rahmen mitzuwirken.
Dies ist ein Versuch, endlich das modernistische Bild des autarken,
introvertierten und unterbezahlten Künstlers hinter sich
zu lassen.
In der Mitte eines Raumes auf
einem Podest und darum herum haben 10 Projekte, 13 Künstler,
2 Ausstellungsführer und die Besucher die Möglichkeit
ihre Ideen sowohl mitzuteilen als auch auszuwerten und Wissen
auszutauschen.
Bei der Untersuchung von kollektiven Verbindungen und dem Aufzeigen
von Netzwerken kommen Themen wie Selbst-Organisation, Selbst-Darstellung
und Alternativmodelle der Ökonomie zur Sprache.
Außer dem Ausstellungprojekt Sparwasser HQ organisiert Lise
Nellemann eine Reihe von Meetings und Gesprächen im Hamburger
Bahnhof
Programm der Ausstellung
Die Künstler und Projekte
Big
Hope
(2m x 2m Spielbereich)
Als Kontrapunkte zur überwältigenden
Herrschaft der Logik von globaler kapitalistischer Wirtschaft
und zusätzlich zu ihrem bereits laufenden Projekt "Talking
About Economies ", hat die Künstlergruppe "Big
Hope" ein Spiel hergestellt das von den Ausstellungsbesuchern
"gespielt" werden kann. Durch das Auflegen der Spielsteine,
die symbolisch Konzepte verschiedener alternativer Wirtschaftssysteme
darstellen, durch kurze Interaktionen und Mitwirkung kann der
Inhalt des Spiels für zukünftige "Spieler"
unterstützt werden und erweitert werden.
Susan
Philipsz
(Video, 16mm, eine Klanginstallation im Treppenhaus, eine Klanginstallation
im Ausstellungsraum)
Susan Philipsz' Interesse gilt
der räumlichen Beschaffenheit von Klang und der Beziehung
zwischen Klang und Architektur. In ihren Klanginstallationen untersucht
sie die gefühlsmäßigen und psychologischen Eigenschaften
von Klang. Im Film "Returning" zeigt Philipsz Passanten,
die im öffentlichen Raum tagträumen sowie private Momente
erleben, wohingegen der Soundtrack einen privaten Raum vermittelt,
in welchen der Zuhörer eingeladen ist. Indem sie ihre eigene
Stimme verwendet, versucht sie beim Zuhörer ein Bewusstsein
in Gang zu setzen, das für einen Augenblick die Wahrnehmung
der eigenen Person an einem bestimmten Ort und in einem bestimmten
Moment ändert.
Michael Stevenson
(eine Skulptur, ein Buch)
Die Slivovitz-Karaffe "The hidden Hand" ist eine Destillation
aus einer großen Installation "This is the Trekka".
Die Karaffe nimmt sich eines der herausragendsten Themen des Trekka-Projektes
an: der Beitrag des ehemaligen Ostblocks an der Entwicklung eines
nationalen Kraftfahrzeuges in Neuseeland auf dem Höhepunkt
des Kalten Krieges.
Wie sich herausstellte, wurden alle mechanischen Bauteile, die
für dieses Symbol der ersten Weltnation nötig waren,
mittels Tauschhandel vom staatlichen tschechoslowakischen Hersteller
Motokow erworben. Nach der Unterzeichnung dieser Partnerschaft
wurden die Deligierten mit Slivovitz beköstigt. Auf diese
Art wird die Karaffe ein Teil der Konversation für das weitere
Projekt und eine zeitgenössische Metapher für eine Nation
auf der Suche nach künstlerischer Autonomie.
Heman
Chong/ NoSleepRequired
(ein Video Essay, ein Stuhl)
" The Social Seduction " ist ein Video Essay, das aus
einer Einzelaufnahme eines Interviews zwischen dem Künstler
Heman Chong und der Kuratorin Gretchen Lee angefertigt wurde.
Das Resultat ist vielleicht eine Karrikatur dessen, was wir als
"Kunstgespräch", gefüllt mit Anteilnahme und
reiner Langeweile, einem "sprechen über das Gespräch"
identifizieren. Das Stück reflektiert das Verhältnis
zwischen Wissen und Dialog, ein System, das allgemein als Methode
verwendet wird um sofort "ready made" Essays innerhalb
unserer übersättigten Medienwelt zu produzieren.
Lasse
Lau / Kenneth
A. Balfelt
(Wandzeitung, Video, Flyer)
Eine Stadt wie Berlin bringt viele "alternative" Strukturen
hervor, Strukturen, die häufig parallel oder in Opposition
zu etablierten ökonomischen und politischen Kräften
fungieren und folglich ein neues ästhetisches Denken zur
Repräsentation an Orten wie dem Hamburger Bahnhof herausfordern.
Lau und Balfelt konzentrieren auf selbstorganisierte Projekte,
die soziale Verantwortung in der Berliner Gesellschaft wahrnehmen.
Es handelt sich um Projekte, die mit der Praxis der Künstler
selbst übereinstimmen und Kunst als Werkzeug verwenden, um
mögliche gesellschaftliche Konflikte zu kommunizieren und
zu lösen.
REINIGUNGSGESELLSCHAFT
(ein Videoessay)
REINIGUNGSGESELLSCHAFT arbeitet an einer Feldforschung zu informellen
Künstlernetzwerken in Japan. Ziel ist die Erarbeitung von
Referenzpunkten und die Abbildung einer modellhaften Fallstudie.
Dabei wird von drei Thesen ausgegangen.
These 1 Wachsender Ökonomisierungsdruck auf die gesellschaftlichen
Verhältnisse führt zu Solidarisierung und Zusammenschluss
in informellen Künstlernetzwerken.
These 2 Die Ausbildung von Gruppenidentitäten hat Auswirkung
auf künstlerische Inhalte.
These 3 Künstlerische Handlungsräume wählen bewusst
Gesellschaft zum Bezugssystem ihrer Produktion.
Karl
Holmqvist
(ein Buch, ein Bildvideo)
Der Ausgangspunkt für Karl Holmqvists Installation ist sein
selbst entworfenes Künstlerbuch mit Mock Haiku Gedichten,
das K. PROTOKOLL. Darin gibt es so etwas wie ein Zusammentreffen
oder einen Mix - je nachdem wie man es sieht - zwischen traditioneller
japanischer ästhetischer Herangehensweise und westlicher
Popkultur. Es handelt sich um Kommentare zur Fragwürdigkeit
nationaler Identität und die Notwendigkeit vorgefasste Begriffe
zu überwinden. Zusammen mit dem Buch gibt es im Hamburger
Bahnhof auch eine DVD Slideshow in einer ortspezifischen Installation,
welche Themen wie imaginäres Reisen, Street Style und politisches
Engagement einbringen.
Dellbrügge & de Moll
(2 Pluriformen, Wandmalerei)
"Dresscode: Farbcodierte Kleidung für Museumswärter"
"Dresscode "ist das Label von Dellbrügge &
de Moll für farbcodierte Arbeitskleidung. Das Design wird
durch Haltung und Verhalten seiner Träger bestimmt. Ihre
Profile können anhand eines spezifischen Farbcodes dechiffriert
werden. Sieht aus wie Mode, sind aber Daten. Alice und Inga tragen
in Berlin North Prototypen des Dresscodes und werden dadurch eher
Guides als Guards. Kontrolle wird durch Kommunikation ersetzt.
Archiv "Consequenses of Summer, Dialoge zur künstlerischen Produktion und zeitgenössischen
Kulturen"
Live Programm mit Meetings und
Gesprächen im Auditorium des Hamburgers Bahnhofs.
(sehe oben)
Das Archiv: im Ausstellungsraum
zeigen wir ein Archiv von 28 Künstlerpräsentationen
und -dialogen, die im Sparwasser HQ im Juni, Juli und August 2003
dokumentiert wurden.
VHS Videos:
Annika Eriksson / Serhat Köksal / Joanna Rajkowska / Laura
Bruce / Rui Calçada Bastos / Peter Spillmann / Heman Chong
/ Nezaket Ekici / Lise Nellemann / Montse Badia / Oliver Zwink
/ Julika Gittner / Simon Starling / Michael Stevenson / Ed Osborn
/ Annika Lundgren / Zeigam Azizov / Colonel / Barbara Prokop /
Jessika Miekeley / Deborah Ligorio / Karen Yasinsky / Jan Rothuizen
/ Sean Reynard / Jean Lee / Jeroen Offerman / Ina Wudtke / Kirstine
Roepstorff / Doro Albrecht / Claudia Reinhardt / Annika Lundgren
/ Susan Philipsz / Kenneth Balfelt / Sofia Hulten / Pia Lanzinger
/ Morten Schelde
Archiv "Old Habits Die Hard"
(9 Videozusammenstellungen, ein Katalog)
organisiert von Lise Nellemann, Heman Chong und Louise Witthoeft.
Das Archiv "old habits die hard" ist ein Gastprojekt
mit 50 internationalen Künstlerkollektiven, die wiederum
50 Künstler einluden, eine Videoarbeit zur Teilnahme beizutragen.
Es handelt sich um ein Kartierungsprojekt, welches das Potential
des Internet und die Möglichkeiten der Kommunikation und
Netzwerkbildung zeigt.
teilnehmende Künstlerkollektive:
16 beaver / Avi Mograbi
bordercartograph / Art Orienté objet
Enjoy / Amy Howden-Chapman & James Findlater
Blue Oyster / Teresa Andrew
Cuckoo / Tessa Laird
AIT Arts Initiative Tokyo / Meiro Koizumi
CAPRI / Vassiliea Stylianidou
FAMEFAME / Daniel Borins
floating ip / Tim Etchells & Hugo Glendinning
AV-ARKKI / Hanna Hasslahti
Cubitt / Klaus Weber
Fournos / Nikos Giavropoulos
G.U.N, Galleri Uten Navn / Henriette Pedersen
Mercer Union / Kika Thorne
Galleri Hlemmur / Markmid
Instant Coffee / Kevin Schmidt
Message Salon / Selina Trepp
Generator / Rebecca Milling
Glowlab / Lee Walton
Kings / Robin Hely
Norwich Gallery / Francis Lamb
le forum itnérant / Georges Cazenove
O2 / Finnur Arnar
offspace / Gernot Wieland
P74 / Saso Vrabic
PAS / Jesper Alvaer
Planet 22 / Horten
Platform / Marcus Lerviks
RAIN / Rachel Mayeri
Program Angels / lothringer13 / Monochrom
>projektgruppe< / Ivan Iegoroff /Alexander Podoprigorov
Raid Projects / Tim Braden
Signal / Natalie Djurberg
rum46 / Morten Larsen
s-m-p / Tere Recarens
S1 Artspace / TC McCormack
Sparwasser HQ / Deborah Ligorio
Sauna / Cecilia Lundqvist
The Danger Museum / Ann Elise Pettersen and Anne Berit Nedland
The Deste Foundation / Morgan Showalter
Switchspace / Craig Mulholland
The Western Front / Nicole + Ryan
Transmission / Duncan Campbell
The Dirt Palace / Xander Marro
United Net-Works / Ola Pehrson
West Space / Dominic Redfern
THE SWOLLEN PLATFORM / Kristen Smith
Unwetter / Ingrid Molnar
VIDEOART CENTER Tokyo / Masayuki Kawai
Videotage / Ellen Pau
Kleines Manifest
Sparwasser HQ ist ein Denkvehikel
Es ist nicht interessant, über Kunst zu denken, sondern
durch Kunst zu denken. Das Werk und das gemeinsame Ausstellungsprojekt
sind Denkmaschinen. Wir reflektieren unsere Wirklichkeit durch
sie. Kunst schafft Denkmodelle und bietet unserer Wahrnehmung
der Wirklichkeit parallele Narrationen und Strategien. Diese
Modelle dienen dazu, das Leben zu verstehen, abzutasten und herauszufordern.
Introduktion vom Katalog
Die Projekte Sparwasser HQs
entstehen durch die künstlerischen Prozesse der beteiligten
Künstler. Der Dialog gilt als Werk genau wie die ästhetische
Form. Praxis mischt sich mit Theorie, Produktion mit Vermittlung
und Politik mit Ästhetik.
Eingeladene Künstler/
Projekte :
Big Hope
Heman Chong
Dellbrügge & de Moll
Karl Holmqvist
Lasse Lau / Kenneth A. Balfelt
Archiv "Consequenses of summer"
Archiv "Old Habits Die Hard"
Susan Philipsz
Reinigungsgesellschaft
Michael Stevenson
Die Teilnahme von Sparwasser
an der Ausstellung im Hamburger Bahnhof ist eine Möglichkeit,
sich mit dem Problem auseinander zu setzen, dass ein von Künstlern
geführter Raum in eine Institution eingeladen wird. Wegen
der Probleme, die damit verbunden sind, die "autonome Zone"
aufzugeben, jenen Kontext, um dessen Bereitstellung sich Sparwasser
normalerweise bemüht, habe ich dieses Projekt nur zögerlich
definiert. Als Sparwasser eingeladen zu sein, geht mit einer
Selbstreflexion einher und verlangt ein gewisses Bewusstsein
... des Prozesses einer möglichen institutionellen Ausbeutung
alternativer, von Künstlern geleiteter Initiativen ... Gleichzeitig
möchte ich, dass Sparwasser daran beteiligt ist.
Die Ausstellung wird nicht
versuchen zu erklären, was Sparwasser ist, sondern
es zu zeigen. Ich möchte kein Archiv ehemaliger Projekte
ausstellen noch bestimmte künstlerische Positionen hervorheben.
Stattdessen benutzen wir den kuratorischen Ausgangspunkt von
Sparwasser als Strategie: Die Kommunikation und Zusammenarbeit
innerhalb von Netzwerken, die Definition von Werten und (möglicherweise)
die Schaffung von alternativen Ökonomien.
Freiheit bedeutet, uns selbst zu repräsentieren, unsere
eigene Geschichte zu dokumentieren und zu schreiben.
Ich erwarte nicht, dass die
beteiligten Kunstwerke Sparwasser beschreiben. Die Themen
sollen die teilnehmenden Künstler veranlassen, individuelle
neue Werke zu entwickeln und dadurch zum Dialog über diese
Strategien von Sparwasser beizutragen.
Ich bin eingeladen, ein Sparwasser-Programm
zu organisieren, und habe dazu 4 Künstler und 4 Künstlergruppen
eingeladen: Karl Holmqvist, Heman Chong, Susan Philipsz, Michael
Stevenson und Reinigungsgesellschaft, Big Hope, Lasse Lau / Kenneth
A. Balfelt, Dellbrügge & de Moll, Künstlerkollegen,
die alle auf die eine oder andere Weise mit mir zusammenarbeiten,
um Licht auf diese Strategie zu werfen.
Als Ausgangspunkt der Recherche
und Untersuchung beschäftigen sich die Künstler mit
der Wirklichkeit und schlagen vorbildlich vor, dass wir mit dem
gleichen Engagement und ähnlicher Neugierde unser Umfeld
anschauen.
In den bei Sparwasser gezeigten
Werken wird überwiegend mit "dokumentarischen" Medien wie Fotografie, Video und Text gearbeitet. Die Kunstwerke
zielen kurz gesagt auf Kommunikation statt auf den privaten kontemplativen
Kunstgenuss.
Gespräch mit Lise Nellemann
Fragen von Johannes Raether
Sparwasser
als Raum des Dialogs: Wie wird sich das Gespräch mit dem
Publikum im Hamburger Bahnhof verändern?
Sparwasser ist bekannt für
sein vielfältiges Programm: Einladungen von Künstlern,
Kritikern, Kuratoren und der Öffentlichkeit zu Dialogen
über zeitgenössische Kulturen sowie Gesprächen
mit dem Publikum in den Ausstellungen; Diskurs zwischen eingeladenen
Künstlergruppen statt reines Display von deren Arbeiten.
Daran nimmt überwiegend ein Fachpublikum teil, ein Publikum,
das sich sehr gut auskennt, interessiert ist und intensiv diskutiert.
Das hohe Niveau macht Sparwasser und Sparwasser
wird zu einer Art Laboratorium für Kunst, eher als zu einer
Akademie. Man kommt, weil man an einer knowledge production
teilnehmen will. Ich vermute, dass im Hamburger Bahnhof das Publikum
anders auf unser Programm reagieren wird. Die Besucher sind mehr
mit konsumierbarer Kunst vertraut, und die Gefahr besteht, dass
unsere Diskussion zum Vortrag wird. Das wollen wir vermeiden.
Wird sich dein
Hauptaugenmerk, der offene Charakter und die Zugänglichkeit
der gezeigten Arbeiten in der Museumsarchitektur, verändern?
Wenn man hier vermeiden könnte,
dass unsere Gäste Eintritt bezahlen müssen, und wir
auch sonst unsere gewöhnlichen Einladungswege und unseren
Stil beibehalten können, können wir sicher die gleiche
offene Situation "hervor-provozieren", die es in Sparwasser
gibt. Wir versuchen, unsere offensive Kommunikationart dadurch
zu behalten, dass die Museumswärter, die in unserem Raum
des Museums stehen, aus der Sparwasser Gruppe kommen.
Es wird spannend sein zu sehen, wie die Werke sich an einem solchen
Ort vermitteln lassen.
Was ist die
Motivation für eine Vernetzung mit anderen artist-run
spaces und Initiativen auf der ganzen Welt?
Sparwasser ist an sich schon
ein erfolgreiches Netzwerk, in Berlin und international. Wir
unterhalten es hauptsächlich über unsere Mailingliste.
Dabei spielen der professionelle Umgang mit Inhalten und eine
konsequente Mehrsprachigkeit die wichtigste Rolle für die
erfolgreiche Resonanz. Wir legen viel Wert auf unser Netzwerk,
und das Interesse, sich mit anderen artist-run spaces zusammenzutun, kam aus der gleichen Intention wie der Aufbau
von Sparwasser selbst: Zu sehen, wo und wer die anderen sind,
wie sie Kunst verstehen und einen Austausch darüber zu beginnen.
Dies ist der Ausgangspunkt für das Projekt Old Habits
Die Hard, in dem, als Teil der Ausstellung, ein internationales
Netzwerk vorgestellt wird.
Sparwasser
hat sich als Marke etabliert. Wie verhinderst du, dass diese
Etablierung zu einer Stagnation führt, wie du sie sonst
immer kritisierst?
Sparwasser wird als Produkt
oder Marke wahrgenommen, sicher. Wir arbeiten aber mit Zufälligkeit,
Experiment und Risiko, üben auch Selbstkritik. Wir müssen
uns nicht der Kunstinstitution und dem Markt gegenüber legitimieren.
Müssen
selbstorganisierte Projekte irgendwann von großen Institutionen
gestützt werden, weil der Energieaufwand zur Erhaltung dieser
Strukturen nach einiger Zeit zu hoch ist?
Ich arbeite gerne mit Institutionen
zusammen. Ich fände es aber schade, wenn Sparwasser es nicht
schaffen würde, die eigene Autonomie zu behalten. Wir müssen
unsere Freiheit schützen, damit Sparwasser sich weiterentwickeln
kann.
Was ist für
dich Unabhängigkeit, wenn man das gesteigerte Interesse
des kommerziellen Komplexes an "selbstorganisierten Strukturen" betrachtet?
Institutionen, die mit zeitgenössischer
Kunst arbeiten, brauchen neue Richtlinien, um mit dieser Kunst
umgehen zu können. Deswegen schauen sie sich von Künstlern
organisierte "Ausstellungsstrategien" an, weil die
Künstler versuchen, dort einen idealen Kontext zu bauen.
Unabhängigkeit liegt nicht in dem schönen Schein selbstorganisierter
Strukturen, sondern in der Denkweise, womit man eine Initiative
wie Sparwasser realisiert. Wir müssen immer aufpassen, dass
wir nicht die Institutionen nachmachen, um gut zu sein, sondern
eher an unsere eigenen Interessen glauben.
Welche Rolle
spielt der migratorische Hintergrund von Sparwasser HQ?
Die Kunstszene hier in Berlin
ist international. Deswegen halten sich so viele Künstler
hier auf. Sie können mit einer nationalen Kunstszene, die
auf eine nationale Kunstgeschichte beschränkt ist, nichts
anfangen. Ich denke nicht darüber nach, woher ein Künstler-Kollege
kommt. Meine Auswahl beruht mehr auf gemeinsamen Auffassungen
von Kunst, auf der Bereitschaft zur Zusammenarbeit und auf gegenseitigem
Vertrauen.
Ich finde es überhaupt nicht interessant, eine Ausstellung
zusammenzustellen, die sich mit dem regionalen Hintergrund der
Künstler auseinandersetzt. Man gerät schnell in eine
Definition eines spezifischen Nationalcharakters hinein. Ich
glaube, dass es für eine Gesellschaft ungesund ist, ihre
eigene (nordische) Kultur zu eng zu definieren. Denn in der Festlegung
entsteht schnell eine Vorstellung, die nicht die Wirklichkeit
beschreibt, eine Vorstellung, die eher die Wirklichkeit ausgrenzt.
Die Möglichkeit, als Einwohner eines westlichen Landes seinen
Aufenthaltsort frei wählen zu können, spürt man
in Berlin und das ist die Wirklichkeit Sparwassers. Netzwerke
und Übersetzungen, in weiterem Sinne, das ist es, was mich
interessiert.
Text von Henrikke Nielsen über die Ausstellungs-architektur
"Gedanken über Modelle und utopische Praxis - oder: Warum Sparwasser (k)eine Insel ist"
Während ich diese Zeilen
zu Papier bringe, das heißt, ein paar Monate vor dem Erscheinen
dieses Katalogs, sitze ich vor einer Skizze der Struktur, in
der Sparwasser seinen Beitrag für die Ausstellung im Hamburger
Bahnhof präsentieren will. Als ehemaliges Mitglied von Sparwasser
kenne ich dessen Art von spontanen Beschlüssen und anspruchsvollen
Änderungen, weshalb sich niemand sicher sein kann, dass
die Struktur auch wirklich genau dieses Aussehen bekommen wird.
Im Gegensatz zum Prototypen sind die Skizze, der Vorschlag oder
das Modell bekanntermaßen für Veränderungen offen
und stehen deshalb im Kontrast zum Statischen.
Der skizzierte Rahmen der Ausstellung
kann als eine Insel aufgefasst werden, und es besteht die Absicht,
Sparwasser in Abgrenzung zur übrigen Ausstellung zu definieren
und zu verdeutlichen, dass es sich um eine "Ausstellung
in der Ausstellung" handelt.
Aber die Struktur kann auch
als Modell angesehen werden. Nicht als Nachbau der Räumlichkeiten
von Sparwasser in der Torstraße, sondern als Modell der
utopischen Praxis, die dort stattfinden wird. Wenn man diese
Praxis utopisch nennt, so nicht, weil es sich hier um wirklichkeitsferne
Konstruktionen handeln würde, sondern weil man es hier mit
der utopischen Dialektik zu tun hat. Das Modell scheint aufschlussreich
zu sein im Verhältnis zu dieser Praxis, ohne dass diese
notwendigerweise an ein physisches Modell gebunden wäre
- es kann sich dabei genauso gut um ein theoretisches oder abstraktes
handeln.
Aber wenn uns nun eingebläut
worden ist, dass Utopien das Vorstadium zur Diktatur sind und
die Postmoderne endgültig mit allen Ideologien Schluss gemacht
hat - nach der Devise: "Vergiss die Gemeinschaft, vergiss
die Schwäche, sei stark, sei Ego, sei unbekümmert -
alles andere ist nachweislich missglückt" - was sollen
wir dann mit einer utopischen Denkweise? Und was hat Utopie mit
dem Modell zu tun?
Das Modell und die Utopie teilen
mit dem Begehren eine wesentliche Voraussetzung. Utopie ist die
Konstruktion imaginärer, perfekter Welten und spiegelt deshalb
eine Unzufriedenheit mit dem Zustand der Dinge und ein Verlangen
nach Veränderung. Durch das Studium von Utopien verstehen
wir, welche Wünsche eine gegebene Gesellschaft generiert,
aber nicht zu erfüllen in der Lage ist. Das Modell existiert
ebenfalls als Verlangen, da es stets Modell von etwas, ein Surrogat,
ist, das die Vorstellung eines anderen (besseren) Entwurfs der
Wirklichkeit ermöglicht. Selbst wenn das Modell von der
Zweckgebundenheit der Architekturmodelle befreit ist, darf es
nicht danach beurteilt werden, ob es realisierbar ist oder nicht.
Dies gilt übrigens auch für Architekturmodelle nicht
immer: Mies van der Rohes Modell eines Wolkenkratzers aus Glas
aus den zwanziger Jahren ist wohl das beste Beispiel für
ein damals utopisches Modell, das umwälzende Bedeutung erlangte,
weil es veränderte, wie man Architektur dachte (und später
baute).
Ein Modell hat die besondere
Qualität, dass es gleichzeitig als physisches Objekt existiert
und in Form einer (möglicherweise realisierbaren) Idee über
sich und das Jetzt hinausgeht. Das Modell ist ein Teil eines
Prozesses, der es, mit gewissen Einschränkungen, ermöglicht,
über die Wiederkehr der Utopie zu sprechen. Eine an ein
statisches Objekt gebundene Utopie wäre nur die leere Wiederholung
der Utopien der Avantgarde und könnte als eine (weitere)
Behauptung über totalitäre Wahrheiten zurückgewiesen
werden.
Statt eine Utopie als nutzlos
oder im besten Fall unterhaltsam oder als Wunschdenken zu betrachten,
kann man deren transformatives Potential in den Blickpunkt rücken.
Innerhalb der Soziologie herrscht eine breite Einigkeit über
die schädliche Wirkung politischer Utopien, aber trotzdem
fordern zum Beispiel Immanuel Wallerstein und Etienne Balibar
zu einer neuen Beurteilung utopischer Denkweisen auf . Man kann
hier von einem modifizierten Utopie-Begriff sprechen, der die
Kraft der Fiktion und der Vorstellung unterstreicht, und dafür
argumentieren, dass dieser in die Gegenwart übertragen wird
und den klassischen Utopie-Begriff mit seinem Fokus auf die Zukunft
ersetzt.
Gerade das Modell ist ein perfektes
Medium für das Verhältnis von Vorstellung und Fiktion.
Walter Grasskamp bezeichnet Modelle, die ohne einen konkreten
Zweck geschaffen worden sind, als "sentimentale Modelle"
. Im Gegensatz zum Architekturmodell, das auf ein noch nicht
realisiertes Projekt in der Zukunft hinweist, besitzt das sentimentale
Modell stärker die Fähigkeit, den Zuschauer einzubeziehen,
denn es ist auf Grundlage bereits existierender Gebäude,
Verhältnisse und Strukturen geschaffen. Aus seiner Alltagsperspektive
heraus wird der Betrachter zu historischem Bewusstsein geführt
und kann von dort aus zu politischem Bewusstsein und zur Wandelbarkeit
der Gegenwart geführt werden.
Utopische Praxis wird als eine
Anwendung des politischen (und pädagogischen) Potentials
des Modells samt der transformativen Qualität der Utopie
gesehen. Sie ist ein laufender Prozess oder eine Überprüfung
des bereits Bestehenden, aus dem sie eine Kritik generiert oder
zu Reflexionen über den Zustand der Dinge auffordert.
Sparwasser ist keine isolierte
Insel, die Utopien ohne Verbindung und Realität zur umgebenden
Gesellschaft hervorbringt, sondern kann als ein Teil der utopischen
Praxis und als Negation der postmodernistischen Ablehnung von
Gemeinschaft gesehen werden.
Links zu den Künstlern der Ausstellung
Big Hope
Heman Chong
Dellbrügge & de Moll
Karl Holmqvist
Lasse Lau / Kenneth A. Balfelt
Archiv "Consequenses of summer"
Archiv "Old Habits Die Hard"
Susan Philipsz
Reinigungsgesellschaft
Michael Stevenson
Sparwasser HQ Ausstellungen während 'Berlin North'
In Sparwasser HQ - Torstrasse 161, Berlin
Mitte
30. Januar - 10. März 2004:
push the envelope!
Maryam Jafri, Valerie Tevere, Lars Mathisen, Matthew Buckingham
17. März - 10. April 2004:
FRISCHESPORES&MOLEKULES
Daniel Kluge, Yuen Chee Wai and George Chua
Außerhalb:
15. Januar - 14. Februar 2004:
Sparwasser HQ mit der Ausstelung: Old Habits Die Hard
in
Norwich Gallery, GB
6. Februar - 7. März 2004:
Sparwasser HQ mit der Ausstelung:
Old Habits Die Hard
in
Kunstnernes Hus, Olso, Norway
11. März - 17. April 2004:
Sparwasser HQ
in
Platform Garanti Contemporary Art Center, Istanbul:
(Ausstellungsprojekt und Gesprächsprogramm, Katalog in Türkisch)
Photo documentation from the exhibition
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