SPARWASSER HQ / LISE NELLEMANN


lädt ein
Big Hope
Heman Chong
Dellbrügge & de Moll
Karl Holmqvist
Lasse Lau & Kenneth A. Balfelt
Susan Philipsz
Reinigungsgesellschaft
Michael Stevenson
Archiv "Consequenses of summer"
Archiv "Old Habits Die Hard"


in
Berlin North - Contemporary Artists from the Nordic Countries
Hamburger Bahnhof, Berlin

31. Januar bis 12. April 2004

INHALT

Von der Ausstellung
Programm der Ausstellung
Die Künstler und Projekte
Kleines Manifest
Introduktion vom Katalog
Gespräch mit Lise Nellemann
Die Ausstellungs-architektur
Links zu den Künstlern der Ausstellung
Sparwasser HQ während 'Berlin North'
Foto Dokumentation

Von der Ausstellung

Lise Nellemann ist eingeladen worden, um Sparwasser HQ in einen weiter gefassten Kontext der Berlin Nordausstellung zu holen. Diese Initiative überträgt sichtbar ein viel besprochenes Format innerhalb der zeitgenössischen Kunst: die Einbeziehung von Künstlern in die Organisation, die Verbreitung und Kommunikation von künstlerischen Ideen und Modellen der Selbst-Darstellung. Die Künstler widerspiegeln ihre eigene Situation sowohl als Gast als auch als Gastgeber, die Teil einer künstlerischen Produktion wird.

Auf den Begriff der "open source" aufbauend, Ideen und Wissen teilend, um so ein gemeinsames Verständnis zu entwickeln, von dem jeder profitieren kann, hat Sparwasser weitere Künstler und Personen, die im Kunstbereich tätig sind sowie künstlerische Projekte eingeladen um am konzeptionellen Rahmen mitzuwirken.
Dies ist ein Versuch, endlich das modernistische Bild des autarken, introvertierten und unterbezahlten Künstlers hinter sich zu lassen.

In der Mitte eines Raumes auf einem Podest und darum herum haben 10 Projekte, 13 Künstler, 2 Ausstellungsführer und die Besucher die Möglichkeit ihre Ideen sowohl mitzuteilen als auch auszuwerten und Wissen auszutauschen.
Bei der Untersuchung von kollektiven Verbindungen und dem Aufzeigen von Netzwerken kommen Themen wie Selbst-Organisation, Selbst-Darstellung und Alternativmodelle der Ökonomie zur Sprache.
Außer dem Ausstellungprojekt Sparwasser HQ organisiert Lise Nellemann eine Reihe von Meetings und Gesprächen im Hamburger Bahnhof

Zurück zum Top

Programm der Ausstellung


15. Februar
15:00 im Ausstellungsraum:
Sparwasser HQ und die zehn eingeladenen Projekte werden von den Künstler vorgestellt.
17:00

im Auditorium:
Dr. Sarat Maharaj (abgesagt)

26. Februar, im Auditorium
18:00 "Disobbedienti" (54 Min., 2002)
19:00  "This is what democracy looks like!" (38 Min., 2002)
19:45 anschließender Diskussion mit Oliver Ressler (Künstler aus Wien)
20:45

Tone O. Nielsen (Dänische Freie Kuratorin aus Kopenhagen/früher L.A.) im Auditorium
Präsentation von ihre Projekt Democracy When? Activist Strategizing in Los Angeles und anschließender Diskussion.

3. April
15:00  Eoghan McTigue (Belfast Künstler, wohnt in Berlin) Artists Talk
17:00  Discursiv Picnic, im Ausstellungsraum
20:00 Spore Sac / Daniel Kluge (sonic gig) im Auditorium
(Künstler (Munich) aus der Ausstellung FRISCHESPORES&MOLEKULES, 17. März - 10. April 2004 in Sparwasser HQ), kuratiert von Heman Chong

Zurück zum Top

Die Künstler und Projekte

Big Hope
(2m x 2m Spielbereich)

Als Kontrapunkte zur überwältigenden Herrschaft der Logik von globaler kapitalistischer Wirtschaft und zusätzlich zu ihrem bereits laufenden Projekt "Talking About Economies ", hat die Künstlergruppe "Big Hope" ein Spiel hergestellt das von den Ausstellungsbesuchern "gespielt" werden kann. Durch das Auflegen der Spielsteine, die symbolisch Konzepte verschiedener alternativer Wirtschaftssysteme darstellen, durch kurze Interaktionen und Mitwirkung kann der Inhalt des Spiels für zukünftige "Spieler" unterstützt werden und erweitert werden.

Susan Philipsz
(Video, 16mm, eine Klanginstallation im Treppenhaus, eine Klanginstallation im Ausstellungsraum)

Susan Philipsz' Interesse gilt der räumlichen Beschaffenheit von Klang und der Beziehung zwischen Klang und Architektur. In ihren Klanginstallationen untersucht sie die gefühlsmäßigen und psychologischen Eigenschaften von Klang. Im Film "Returning" zeigt Philipsz Passanten, die im öffentlichen Raum tagträumen sowie private Momente erleben, wohingegen der Soundtrack einen privaten Raum vermittelt, in welchen der Zuhörer eingeladen ist. Indem sie ihre eigene Stimme verwendet, versucht sie beim Zuhörer ein Bewusstsein in Gang zu setzen, das für einen Augenblick die Wahrnehmung der eigenen Person an einem bestimmten Ort und in einem bestimmten Moment ändert.

Michael Stevenson
(eine Skulptur, ein Buch)
Die Slivovitz-Karaffe "The hidden Hand" ist eine Destillation aus einer großen Installation "This is the Trekka". Die Karaffe nimmt sich eines der herausragendsten Themen des Trekka-Projektes an: der Beitrag des ehemaligen Ostblocks an der Entwicklung eines nationalen Kraftfahrzeuges in Neuseeland auf dem Höhepunkt des Kalten Krieges.
Wie sich herausstellte, wurden alle mechanischen Bauteile, die für dieses Symbol der ersten Weltnation nötig waren, mittels Tauschhandel vom staatlichen tschechoslowakischen Hersteller Motokow erworben. Nach der Unterzeichnung dieser Partnerschaft wurden die Deligierten mit Slivovitz beköstigt. Auf diese Art wird die Karaffe ein Teil der Konversation für das weitere Projekt und eine zeitgenössische Metapher für eine Nation auf der Suche nach künstlerischer Autonomie.

Heman Chong/ NoSleepRequired
(ein Video Essay, ein Stuhl)
" The Social Seduction " ist ein Video Essay, das aus einer Einzelaufnahme eines Interviews zwischen dem Künstler Heman Chong und der Kuratorin Gretchen Lee angefertigt wurde. Das Resultat ist vielleicht eine Karrikatur dessen, was wir als "Kunstgespräch", gefüllt mit Anteilnahme und reiner Langeweile, einem "sprechen über das Gespräch" identifizieren. Das Stück reflektiert das Verhältnis zwischen Wissen und Dialog, ein System, das allgemein als Methode verwendet wird um sofort "ready made" Essays innerhalb unserer übersättigten Medienwelt zu produzieren.

Lasse Lau / Kenneth A. Balfelt
(Wandzeitung, Video, Flyer)
Eine Stadt wie Berlin bringt viele "alternative" Strukturen hervor, Strukturen, die häufig parallel oder in Opposition zu etablierten ökonomischen und politischen Kräften fungieren und folglich ein neues ästhetisches Denken zur Repräsentation an Orten wie dem Hamburger Bahnhof herausfordern. Lau und Balfelt konzentrieren auf selbstorganisierte Projekte, die soziale Verantwortung in der Berliner Gesellschaft wahrnehmen.
Es handelt sich um Projekte, die mit der Praxis der Künstler
selbst übereinstimmen und Kunst als Werkzeug verwenden, um mögliche gesellschaftliche Konflikte zu kommunizieren und zu lösen.

REINIGUNGSGESELLSCHAFT
(ein Videoessay)
REINIGUNGSGESELLSCHAFT arbeitet an einer Feldforschung zu informellen Künstlernetzwerken in Japan. Ziel ist die Erarbeitung von Referenzpunkten und die Abbildung einer modellhaften Fallstudie. Dabei wird von drei Thesen ausgegangen.
These 1 Wachsender Ökonomisierungsdruck auf die gesellschaftlichen Verhältnisse führt zu Solidarisierung und Zusammenschluss in informellen Künstlernetzwerken.
These 2 Die Ausbildung von Gruppenidentitäten hat Auswirkung auf künstlerische Inhalte.
These 3 Künstlerische Handlungsräume wählen bewusst Gesellschaft zum Bezugssystem ihrer Produktion.

Karl Holmqvist
(ein Buch, ein Bildvideo)
Der Ausgangspunkt für Karl Holmqvists Installation ist sein selbst entworfenes Künstlerbuch mit Mock Haiku Gedichten, das K. PROTOKOLL. Darin gibt es so etwas wie ein Zusammentreffen oder einen Mix - je nachdem wie man es sieht - zwischen traditioneller japanischer ästhetischer Herangehensweise und westlicher Popkultur. Es handelt sich um Kommentare zur Fragwürdigkeit nationaler Identität und die Notwendigkeit vorgefasste Begriffe zu überwinden. Zusammen mit dem Buch gibt es im Hamburger Bahnhof auch eine DVD Slideshow in einer ortspezifischen Installation, welche Themen wie imaginäres Reisen, Street Style und politisches Engagement einbringen.

Dellbrügge & de Moll
(2 Pluriformen, Wandmalerei)
"Dresscode: Farbcodierte Kleidung für Museumswärter"
"Dresscode "ist das Label von Dellbrügge & de Moll für farbcodierte Arbeitskleidung. Das Design wird durch Haltung und Verhalten seiner Träger bestimmt. Ihre Profile können anhand eines spezifischen Farbcodes dechiffriert werden. Sieht aus wie Mode, sind aber Daten. Alice und Inga tragen in Berlin North Prototypen des Dresscodes und werden dadurch eher Guides als Guards. Kontrolle wird durch Kommunikation ersetzt.

Archiv "Consequenses of Summer, Dialoge zur künstlerischen Produktion und zeitgenössischen Kulturen"
Live Programm mit Meetings und Gesprächen im Auditorium des Hamburgers Bahnhofs.
(sehe oben)

Das Archiv: im Ausstellungsraum zeigen wir ein Archiv von 28 Künstlerpräsentationen
und -dialogen, die im Sparwasser HQ im Juni, Juli und August 2003 dokumentiert wurden.

VHS Videos:
Annika Eriksson / Serhat Köksal / Joanna Rajkowska / Laura Bruce / Rui Calçada Bastos / Peter Spillmann / Heman Chong / Nezaket Ekici / Lise Nellemann / Montse Badia / Oliver Zwink / Julika Gittner / Simon Starling / Michael Stevenson / Ed Osborn / Annika Lundgren / Zeigam Azizov / Colonel / Barbara Prokop / Jessika Miekeley / Deborah Ligorio / Karen Yasinsky / Jan Rothuizen / Sean Reynard / Jean Lee / Jeroen Offerman / Ina Wudtke / Kirstine Roepstorff / Doro Albrecht / Claudia Reinhardt / Annika Lundgren / Susan Philipsz / Kenneth Balfelt / Sofia Hulten / Pia Lanzinger / Morten Schelde

Archiv "Old Habits Die Hard"
(9 Videozusammenstellungen, ein Katalog)
organisiert von Lise Nellemann, Heman Chong und Louise Witthoeft.
Das Archiv "old habits die hard" ist ein Gastprojekt mit 50 internationalen Künstlerkollektiven, die wiederum 50 Künstler einluden, eine Videoarbeit zur Teilnahme beizutragen. Es handelt sich um ein Kartierungsprojekt, welches das Potential des Internet und die Möglichkeiten der Kommunikation und Netzwerkbildung zeigt.

teilnehmende Künstlerkollektive:
16 beaver / Avi Mograbi
bordercartograph / Art Orienté objet
Enjoy / Amy Howden-Chapman & James Findlater
Blue Oyster / Teresa Andrew
Cuckoo / Tessa Laird
AIT Arts Initiative Tokyo / Meiro Koizumi
CAPRI / Vassiliea Stylianidou
FAMEFAME / Daniel Borins
floating ip / Tim Etchells & Hugo Glendinning
AV-ARKKI / Hanna Hasslahti
Cubitt / Klaus Weber
Fournos / Nikos Giavropoulos
G.U.N, Galleri Uten Navn / Henriette Pedersen
Mercer Union / Kika Thorne
Galleri Hlemmur / Markmid
Instant Coffee / Kevin Schmidt
Message Salon / Selina Trepp
Generator / Rebecca Milling
Glowlab / Lee Walton
Kings / Robin Hely
Norwich Gallery / Francis Lamb
le forum itnérant / Georges Cazenove
O2 / Finnur Arnar
offspace / Gernot Wieland
P74 / Saso Vrabic
PAS / Jesper Alvaer
Planet 22 / Horten
Platform / Marcus Lerviks
RAIN / Rachel Mayeri
Program Angels / lothringer13 / Monochrom
>projektgruppe< / Ivan Iegoroff /Alexander Podoprigorov
Raid Projects / Tim Braden
Signal / Natalie Djurberg
rum46 / Morten Larsen
s-m-p / Tere Recarens
S1 Artspace / TC McCormack
Sparwasser HQ / Deborah Ligorio
Sauna / Cecilia Lundqvist
The Danger Museum / Ann Elise Pettersen and Anne Berit Nedland
The Deste Foundation / Morgan Showalter
Switchspace / Craig Mulholland
The Western Front / Nicole + Ryan
Transmission / Duncan Campbell
The Dirt Palace / Xander Marro
United Net-Works / Ola Pehrson
West Space / Dominic Redfern
THE SWOLLEN PLATFORM / Kristen Smith
Unwetter / Ingrid Molnar
VIDEOART CENTER Tokyo / Masayuki Kawai
Videotage / Ellen Pau

Zurück zum Top

Kleines Manifest
Sparwasser HQ ist ein Denkvehikel

Es ist nicht interessant, über Kunst zu denken, sondern durch Kunst zu denken. Das Werk und das gemeinsame Ausstellungsprojekt sind Denkmaschinen. Wir reflektieren unsere Wirklichkeit durch sie. Kunst schafft Denkmodelle und bietet unserer Wahrnehmung der Wirklichkeit parallele Narrationen und Strategien. Diese Modelle dienen dazu, das Leben zu verstehen, abzutasten und herauszufordern.

Zurück zum Top

Introduktion vom Katalog

Die Projekte Sparwasser HQs entstehen durch die künstlerischen Prozesse der beteiligten Künstler. Der Dialog gilt als Werk genau wie die ästhetische Form. Praxis mischt sich mit Theorie, Produktion mit Vermittlung und Politik mit Ästhetik.

Eingeladene Künstler/ Projekte :

Big Hope
Heman Chong
Dellbrügge & de Moll
Karl Holmqvist
Lasse Lau / Kenneth A. Balfelt
Archiv "Consequenses of summer"
Archiv "Old Habits Die Hard"
Susan Philipsz
Reinigungsgesellschaft
Michael Stevenson

Die Teilnahme von Sparwasser an der Ausstellung im Hamburger Bahnhof ist eine Möglichkeit, sich mit dem Problem auseinander zu setzen, dass ein von Künstlern geführter Raum in eine Institution eingeladen wird. Wegen der Probleme, die damit verbunden sind, die "autonome Zone" aufzugeben, jenen Kontext, um dessen Bereitstellung sich Sparwasser normalerweise bemüht, habe ich dieses Projekt nur zögerlich definiert. Als Sparwasser eingeladen zu sein, geht mit einer Selbstreflexion einher und verlangt ein gewisses Bewusstsein ... des Prozesses einer möglichen institutionellen Ausbeutung alternativer, von Künstlern geleiteter Initiativen ... Gleichzeitig möchte ich, dass Sparwasser daran beteiligt ist.

Die Ausstellung wird nicht versuchen zu erklären, was Sparwasser ist, sondern es zu zeigen. Ich möchte kein Archiv ehemaliger Projekte ausstellen noch bestimmte künstlerische Positionen hervorheben.
Stattdessen benutzen wir den kuratorischen Ausgangspunkt von Sparwasser als Strategie: Die Kommunikation und Zusammenarbeit innerhalb von Netzwerken, die Definition von Werten und (möglicherweise) die Schaffung von alternativen Ökonomien.
Freiheit bedeutet, uns selbst zu repräsentieren, unsere eigene Geschichte zu dokumentieren und zu schreiben.

Ich erwarte nicht, dass die beteiligten Kunstwerke Sparwasser beschreiben. Die Themen sollen die teilnehmenden Künstler veranlassen, individuelle neue Werke zu entwickeln und dadurch zum Dialog über diese Strategien von Sparwasser beizutragen.

Ich bin eingeladen, ein Sparwasser-Programm zu organisieren, und habe dazu 4 Künstler und 4 Künstlergruppen eingeladen: Karl Holmqvist, Heman Chong, Susan Philipsz, Michael Stevenson und Reinigungsgesellschaft, Big Hope, Lasse Lau / Kenneth A. Balfelt, Dellbrügge & de Moll, Künstlerkollegen, die alle auf die eine oder andere Weise mit mir zusammenarbeiten, um Licht auf diese Strategie zu werfen.

Als Ausgangspunkt der Recherche und Untersuchung beschäftigen sich die Künstler mit der Wirklichkeit und schlagen vorbildlich vor, dass wir mit dem gleichen Engagement und ähnlicher Neugierde unser Umfeld anschauen.

In den bei Sparwasser gezeigten Werken wird überwiegend mit "dokumentarischen" Medien wie Fotografie, Video und Text gearbeitet. Die Kunstwerke zielen kurz gesagt auf Kommunikation statt auf den privaten kontemplativen Kunstgenuss.

Zurück zum Top

Gespräch mit Lise Nellemann

Fragen von Johannes Raether

Sparwasser als Raum des Dialogs: Wie wird sich das Gespräch mit dem Publikum im Hamburger Bahnhof verändern?

Sparwasser ist bekannt für sein vielfältiges Programm: Einladungen von Künstlern, Kritikern, Kuratoren und der Öffentlichkeit zu Dialogen über zeitgenössische Kulturen sowie Gesprächen mit dem Publikum in den Ausstellungen; Diskurs zwischen eingeladenen Künstlergruppen statt reines Display von deren Arbeiten.
Daran nimmt überwiegend ein Fachpublikum teil, ein Publikum, das sich sehr gut auskennt, interessiert ist und intensiv diskutiert. Das hohe Niveau macht Sparwasser ­ und Sparwasser wird zu einer Art Laboratorium für Kunst, eher als zu einer Akademie. Man kommt, weil man an einer knowledge production teilnehmen will. Ich vermute, dass im Hamburger Bahnhof das Publikum anders auf unser Programm reagieren wird. Die Besucher sind mehr mit konsumierbarer Kunst vertraut, und die Gefahr besteht, dass unsere Diskussion zum Vortrag wird. Das wollen wir vermeiden.

Wird sich dein Hauptaugenmerk, der offene Charakter und die Zugänglichkeit der gezeigten Arbeiten in der Museumsarchitektur, verändern?

Wenn man hier vermeiden könnte, dass unsere Gäste Eintritt bezahlen müssen, und wir auch sonst unsere gewöhnlichen Einladungswege und unseren Stil beibehalten können, können wir sicher die gleiche offene Situation "hervor-provozieren", die es in Sparwasser gibt. Wir versuchen, unsere offensive Kommunikationart dadurch zu behalten, dass die Museumswärter, die in unserem Raum des Museums stehen, aus der Sparwasser Gruppe kommen.
Es wird spannend sein zu sehen, wie die Werke sich an einem solchen Ort vermitteln lassen.

Was ist die Motivation für eine Vernetzung mit anderen artist-run spaces und Initiativen auf der ganzen Welt?

Sparwasser ist an sich schon ein erfolgreiches Netzwerk, in Berlin und international. Wir unterhalten es hauptsächlich über unsere Mailingliste. Dabei spielen der professionelle Umgang mit Inhalten und eine konsequente Mehrsprachigkeit die wichtigste Rolle für die erfolgreiche Resonanz. Wir legen viel Wert auf unser Netzwerk, und das Interesse, sich mit anderen artist-run spaces zusammenzutun, kam aus der gleichen Intention wie der Aufbau von Sparwasser selbst: Zu sehen, wo und wer die anderen sind, wie sie Kunst verstehen und einen Austausch darüber zu beginnen. Dies ist der Ausgangspunkt für das Projekt Old Habits Die Hard, in dem, als Teil der Ausstellung, ein internationales Netzwerk vorgestellt wird.

Sparwasser hat sich als Marke etabliert. Wie verhinderst du, dass diese Etablierung zu einer Stagnation führt, wie du sie sonst immer kritisierst?

Sparwasser wird als Produkt oder Marke wahrgenommen, sicher. Wir arbeiten aber mit Zufälligkeit, Experiment und Risiko, üben auch Selbstkritik. Wir müssen uns nicht der Kunstinstitution und dem Markt gegenüber legitimieren.

Müssen selbstorganisierte Projekte irgendwann von großen Institutionen gestützt werden, weil der Energieaufwand zur Erhaltung dieser Strukturen nach einiger Zeit zu hoch ist?

Ich arbeite gerne mit Institutionen zusammen. Ich fände es aber schade, wenn Sparwasser es nicht schaffen würde, die eigene Autonomie zu behalten. Wir müssen unsere Freiheit schützen, damit Sparwasser sich weiterentwickeln kann.

Was ist für dich Unabhängigkeit, wenn man das gesteigerte Interesse des kommerziellen Komplexes an "selbstorganisierten Strukturen" betrachtet?

Institutionen, die mit zeitgenössischer Kunst arbeiten, brauchen neue Richtlinien, um mit dieser Kunst umgehen zu können. Deswegen schauen sie sich von Künstlern organisierte "Ausstellungsstrategien" an, weil die Künstler versuchen, dort einen idealen Kontext zu bauen. Unabhängigkeit liegt nicht in dem schönen Schein selbstorganisierter Strukturen, sondern in der Denkweise, womit man eine Initiative wie Sparwasser realisiert. Wir müssen immer aufpassen, dass wir nicht die Institutionen nachmachen, um gut zu sein, sondern eher an unsere eigenen Interessen glauben.

Welche Rolle spielt der migratorische Hintergrund von Sparwasser HQ?

Die Kunstszene hier in Berlin ist international. Deswegen halten sich so viele Künstler hier auf. Sie können mit einer nationalen Kunstszene, die auf eine nationale Kunstgeschichte beschränkt ist, nichts anfangen. Ich denke nicht darüber nach, woher ein Künstler-Kollege kommt. Meine Auswahl beruht mehr auf gemeinsamen Auffassungen von Kunst, auf der Bereitschaft zur Zusammenarbeit und auf gegenseitigem Vertrauen.
Ich finde es überhaupt nicht interessant, eine Ausstellung zusammenzustellen, die sich mit dem regionalen Hintergrund der Künstler auseinandersetzt. Man gerät schnell in eine Definition eines spezifischen Nationalcharakters hinein. Ich glaube, dass es für eine Gesellschaft ungesund ist, ihre eigene (nordische) Kultur zu eng zu definieren. Denn in der Festlegung entsteht schnell eine Vorstellung, die nicht die Wirklichkeit beschreibt, eine Vorstellung, die eher die Wirklichkeit ausgrenzt.
Die Möglichkeit, als Einwohner eines westlichen Landes seinen Aufenthaltsort frei wählen zu können, spürt man in Berlin ­ und das ist die Wirklichkeit Sparwassers. Netzwerke und Übersetzungen, in weiterem Sinne, das ist es, was mich interessiert.

Zurück zum Top

Text von Henrikke Nielsen über die Ausstellungs-architektur

"Gedanken über Modelle und utopische Praxis - oder: Warum Sparwasser (k)eine Insel ist"

Während ich diese Zeilen zu Papier bringe, das heißt, ein paar Monate vor dem Erscheinen dieses Katalogs, sitze ich vor einer Skizze der Struktur, in der Sparwasser seinen Beitrag für die Ausstellung im Hamburger Bahnhof präsentieren will. Als ehemaliges Mitglied von Sparwasser kenne ich dessen Art von spontanen Beschlüssen und anspruchsvollen Änderungen, weshalb sich niemand sicher sein kann, dass die Struktur auch wirklich genau dieses Aussehen bekommen wird. Im Gegensatz zum Prototypen sind die Skizze, der Vorschlag oder das Modell bekanntermaßen für Veränderungen offen und stehen deshalb im Kontrast zum Statischen.

Der skizzierte Rahmen der Ausstellung kann als eine Insel aufgefasst werden, und es besteht die Absicht, Sparwasser in Abgrenzung zur übrigen Ausstellung zu definieren und zu verdeutlichen, dass es sich um eine "Ausstellung in der Ausstellung" handelt.

Aber die Struktur kann auch als Modell angesehen werden. Nicht als Nachbau der Räumlichkeiten von Sparwasser in der Torstraße, sondern als Modell der utopischen Praxis, die dort stattfinden wird. Wenn man diese Praxis utopisch nennt, so nicht, weil es sich hier um wirklichkeitsferne Konstruktionen handeln würde, sondern weil man es hier mit der utopischen Dialektik zu tun hat. Das Modell scheint aufschlussreich zu sein im Verhältnis zu dieser Praxis, ohne dass diese notwendigerweise an ein physisches Modell gebunden wäre - es kann sich dabei genauso gut um ein theoretisches oder abstraktes handeln.

Aber wenn uns nun eingebläut worden ist, dass Utopien das Vorstadium zur Diktatur sind und die Postmoderne endgültig mit allen Ideologien Schluss gemacht hat - nach der Devise: "Vergiss die Gemeinschaft, vergiss die Schwäche, sei stark, sei Ego, sei unbekümmert - alles andere ist nachweislich missglückt" - was sollen wir dann mit einer utopischen Denkweise? Und was hat Utopie mit dem Modell zu tun?

Das Modell und die Utopie teilen mit dem Begehren eine wesentliche Voraussetzung. Utopie ist die Konstruktion imaginärer, perfekter Welten und spiegelt deshalb eine Unzufriedenheit mit dem Zustand der Dinge und ein Verlangen nach Veränderung. Durch das Studium von Utopien verstehen wir, welche Wünsche eine gegebene Gesellschaft generiert, aber nicht zu erfüllen in der Lage ist. Das Modell existiert ebenfalls als Verlangen, da es stets Modell von etwas, ein Surrogat, ist, das die Vorstellung eines anderen (besseren) Entwurfs der Wirklichkeit ermöglicht. Selbst wenn das Modell von der Zweckgebundenheit der Architekturmodelle befreit ist, darf es nicht danach beurteilt werden, ob es realisierbar ist oder nicht. Dies gilt übrigens auch für Architekturmodelle nicht immer: Mies van der Rohes Modell eines Wolkenkratzers aus Glas aus den zwanziger Jahren ist wohl das beste Beispiel für ein damals utopisches Modell, das umwälzende Bedeutung erlangte, weil es veränderte, wie man Architektur dachte (und später baute).

Ein Modell hat die besondere Qualität, dass es gleichzeitig als physisches Objekt existiert und in Form einer (möglicherweise realisierbaren) Idee über sich und das Jetzt hinausgeht. Das Modell ist ein Teil eines Prozesses, der es, mit gewissen Einschränkungen, ermöglicht, über die Wiederkehr der Utopie zu sprechen. Eine an ein statisches Objekt gebundene Utopie wäre nur die leere Wiederholung der Utopien der Avantgarde und könnte als eine (weitere) Behauptung über totalitäre Wahrheiten zurückgewiesen werden.

Statt eine Utopie als nutzlos oder im besten Fall unterhaltsam oder als Wunschdenken zu betrachten, kann man deren transformatives Potential in den Blickpunkt rücken. Innerhalb der Soziologie herrscht eine breite Einigkeit über die schädliche Wirkung politischer Utopien, aber trotzdem fordern zum Beispiel Immanuel Wallerstein und Etienne Balibar zu einer neuen Beurteilung utopischer Denkweisen auf . Man kann hier von einem modifizierten Utopie-Begriff sprechen, der die Kraft der Fiktion und der Vorstellung unterstreicht, und dafür argumentieren, dass dieser in die Gegenwart übertragen wird und den klassischen Utopie-Begriff mit seinem Fokus auf die Zukunft ersetzt.

Gerade das Modell ist ein perfektes Medium für das Verhältnis von Vorstellung und Fiktion. Walter Grasskamp bezeichnet Modelle, die ohne einen konkreten Zweck geschaffen worden sind, als "sentimentale Modelle" . Im Gegensatz zum Architekturmodell, das auf ein noch nicht realisiertes Projekt in der Zukunft hinweist, besitzt das sentimentale Modell stärker die Fähigkeit, den Zuschauer einzubeziehen, denn es ist auf Grundlage bereits existierender Gebäude, Verhältnisse und Strukturen geschaffen. Aus seiner Alltagsperspektive heraus wird der Betrachter zu historischem Bewusstsein geführt und kann von dort aus zu politischem Bewusstsein und zur Wandelbarkeit der Gegenwart geführt werden.

Utopische Praxis wird als eine Anwendung des politischen (und pädagogischen) Potentials des Modells samt der transformativen Qualität der Utopie gesehen. Sie ist ein laufender Prozess oder eine Überprüfung des bereits Bestehenden, aus dem sie eine Kritik generiert oder zu Reflexionen über den Zustand der Dinge auffordert.

Sparwasser ist keine isolierte Insel, die Utopien ohne Verbindung und Realität zur umgebenden Gesellschaft hervorbringt, sondern kann als ein Teil der utopischen Praxis und als Negation der postmodernistischen Ablehnung von Gemeinschaft gesehen werden.

Zurück zum Top

Links zu den Künstlern der Ausstellung

Big Hope
Heman Chong
Dellbrügge & de Moll
Karl Holmqvist
Lasse Lau / Kenneth A. Balfelt
Archiv "Consequenses of summer"
Archiv "Old Habits Die Hard"
Susan Philipsz
Reinigungsgesellschaft
Michael Stevenson

Zurück zum Top

Sparwasser HQ Ausstellungen während 'Berlin North'

In Sparwasser HQ - Torstrasse 161, Berlin Mitte

30. Januar - 10. März 2004:
push the envelope!
Maryam Jafri, Valerie Tevere, Lars Mathisen, Matthew Buckingham

17. März - 10. April 2004:
FRISCHESPORES&MOLEKULES
Daniel Kluge, Yuen Chee Wai and George Chua

Außerhalb:

15. Januar - 14. Februar 2004:
Sparwasser HQ mit der Ausstelung: Old Habits Die Hard
in
Norwich Gallery, GB

6. Februar - 7. März 2004:
Sparwasser HQ mit der Ausstelung: Old Habits Die Hard
in
Kunstnernes Hus, Olso, Norway

11. März - 17. April 2004:
Sparwasser HQ
in
Platform Garanti Contemporary Art Center, Istanbul:
(Ausstellungsprojekt und Gesprächsprogramm, Katalog in Türkisch)

Zurück zum Top

Photo documentation from the exhibition


Back to top